
„Mentale Gesundheit ist kein DIY-Projekt“
Wer künftig als Unternehmen wachsen und leistungsfähig bleiben will, muss die mentale Gesundheit stärken, weiß Nora Dietrich.
Unternehmen müssen die mentale Gesundheit stärken – seine eigene und jene des Teams. Tipps von Psychotherapeutin Nora Dietrich.
„Kärntner Wirtschaft“: Warum fällt es so schwer, Zukunft positiv zu denken?
Nora Dietrich: Wir befinden uns seit Jahren in einer Polykrise, das heißt, es gibt mehrere überlappende Krisen und in diesem sozialen Stressmoment sind wir gesellschaftlich sehr erschöpft. Je mehr Krisen auf uns einprasseln, desto größer wird die Hilflosigkeit. Viele wollen den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass es irgendwann schon besser wird.
… aber das funktioniert nicht?
Nein, stattdessen brauchen wir Räume, in denen wir uns selbstwirksam fühlen. Das ist so ein Gefühl der Kontrollrückgewinnung. Wenn ich tatsächlich Einfluss auf Dinge nehmen kann, zum Beispiel an meinem Arbeitsplatz, spüre ich wieder Selbstwirksamkeit und Zukunftsmut entwickeln. Dieser motiviert uns dazu, zu gestalten und voranzugehen.
Der Arbeitsalltag muss so gestaltet werden, dass Pausen machbar sind.
Nora Dietrich
Psychotherapeutin und Expertin für mentale GesundheitWas braucht es, damit das in der Wirtschaft möglich wird?
Generell ist es wichtig Vorbilder zu haben. Mentoren, die uns zeigen, welche Einflussbereiche wir haben oder uns Zugang zu diesen verschaffen. Und wir brauchen gute Nachrichten, um optimistisch zu bleiben. In der Arbeitswelt könnten wir uns auf Erfolge fokussieren oder Dinge, die wir bereits gemeistert haben.
Wie bleiben wir in diesen schwierigen Zeiten mental gesund?
Einer der größten Faktoren ist die Entstigmatisierung. Mentale Gesundheit darf kein Tabuthema mehr sein. Wir müssen anfangen stärker darüber zu sprechen. Das fängt im Kleinen, zum Beispiel im eigenen Team, an. Auch hier haben Führungskräfte eine Vorbildfunktion, sie müssen nicht immer Stärke zeigen. Mentale Gesundheit ist eine Fähigkeit, die wir lernen müssen. Die wenigsten haben zu Hause mitbekommen, über ihre Emotionen zu sprechen und damit umzugehen. Workshops und Weiterbildungen können hierfür ein Hebel sein.
Welche Bedeutung spielt mentale Gesundheit in neuen Arbeitswelten?
Bei „New Work“ geht es darum, wieder die Menschlichkeit in den Fokus zu rücken und Arbeitsplätze zu schaffen, die etwas für Menschen tun statt nur etwas wegzunehmen. Also geht es um die Frage, wie kann Arbeit auch ein Ort sein, der Gesundheit fördert. Je gesünder wir sind, desto mehr können wir leisten – und in Teams wollen wir tolle Leistungen, die nachhaltig sind. Der Job wird an die Bedürfnisse der Menschen angepasst, nicht das Leben an den Job. Damit werden seelenlose Bürozellen zu kreativen Orten, die Begegnung ermöglichen.
Was bedeutet regenerative Unternehmenskultur?
In der Wirtschaftswelt zählt das Credo höher, schneller, weiter. Wachstum ist wichtig, aber wir haben uns jahrzehntelang nicht mit der Frage beschäftigt, woher die Energie dafür kommt. Zu wachsen und größere Ziele zu verfolgen, ist ein Teil von mentaler Gesundheit. Aber dafür braucht es den Rückfluss an Energie. In einer regenerativen Unternehmenskultur geht es dementsprechend auch um Pausen. Das Team investiert in sich selbst und baut Resilienz auf, um auf die nächste Stresswelle vorbereitet zu sein. Mentale Gesundheit ist kein Do-it-yourself-Projekt. Wir brauchen dafür ein soziales Netzwerk, Möglichkeitsräume und Mentoren.
Konkrete praktische Tipps für den Alltag wären?
Die Mittagspause im Kalender blocken, klare Strukturen schaffen, gemeinsame Rituale im Team entwickeln wie eine kleine Medidation am Morgen, Dates mit E‑Mails, um Druck herauszunehmen und Unterstützung aus dem Netzwerk holen.
- Nora Dietrich wurde 1988 in Berlin geboren und ist heute unter anderem als Keynotespeakerin, Trainerin und Buchautorin selbstständig tätig.
- Sie absolvierte die Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie und sammelte Erfahrungen als Director of People and Culture in einer Digitalagentur. 2024 gründete sie die Between People GmbH.
- Im Mai 2025 erscheint ihr neues Buch „Mental Health at Work: Wie wir unsere beste Arbeit machen und dabei gesund bleiben“, Verlag Vahlen.
- Ihre Freizeit verbringt sie mit ihrem zweijährigen Sohn auf Spielplätzen, macht Sport, tanzt gerne und pflegt Freundschaften.