„Klug wäre es,
global zu kooperieren“
Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef Radermacher appelliert, die Energiewende global zu denken.
Franz Josef Radermacher setzt sich neben dem Ausbau erneuerbarer Energien wie Photovoltaik und Windkraft für Carbon Capture ein.
„Kärntner Wirtschaft“: Der weltweite Energiebedarf steigt. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Franz Josef Radermacher: Energie ist zunächst einmal die Basis für Wohlstand, deshalb kommt ihr eine zentrale Bedeutung zu. Etwa 80 Prozent der weltweit erzeugten Bruttoenergie stammt heute aus fossilen Energieträgern. Sehen wir uns das Beispiel China an: Die Chinesen haben gezeigt, wie es geht, gigantischen Wohlstand aufzubauen, wenn man sich auf fossile Energieträger stützt. Nun wollen aber auch all die Entwicklungs- und Schwellenländer aus der Armut herauskommen – das Beispiel China droht sich zu multiplizieren. Die Folge wäre ein Klimakollaps.
Was muss passieren, damit es nicht soweit kommt?
Diese weltweite Lösung, auf die wir setzen, ruht auf drei Pfeilern. Ein Baustein, der ein Drittel der Probleme lösen kann, ist der Ausbau neuer Erneuerbarer wie Photovoltaik und Windkraft. Das ist sehr teuer, auch wegen der Netze, und die reiche Welt muss dafür viel Geld aufbringen. Der zweite Baustein sind „nature based solutions“, also Maßnahmen, mit denen die Rolle der Natur als CO2-Speicher gestärkt wird. Das geht am besten im Süden der Welt, wo es viel Fläche und die Regenwälder gibt. Hierfür braucht es kluge Kooperationen.
Und der dritte Pfeiler?
Das ist zum einen Nuklearenergie, die klimaneutral ist und vor einem Aufschwung steht, weil Technologiekonzerne wie Google und Microsoft sich bereits dafür aussprechen. Noch wichtiger aber ist die Nutzung fossiler Energieträger mit Carbon Capture, also Systemen, die das CO2 abfangen. Auf diese Weise könnte man die Hälfte der benötigten Energie bereitstellen. Das ist, auch in Kopplung mit den Erneuerbaren, insgesamt ein System, das nicht volatil und daher relativ preiswert ist.
Wenn man es klug angeht, kann die Energiewende zu einem Weltwirtschaftswunder werden.
Franz Josef Radermacher
WissenschaftlerWer soll das finanzieren?
Hier müssen reiche Länder Mittel in Form von verlorenen Zuschüssen freigeben. Denn die ärmeren Länder, die all die Maßnahmen auch umsetzen müssen, wehren sich gegen Kredite, die sie aufgrund ihrer Armut ohnehin nicht bedienen können.
Da gibt es vermutlich viele, die die Investitionen lieber im eigenen Land sehen …
Die Folge genau dieses Phänomens bezeichne ich als Klimanationalismus. Der besteht nämlich darin, dass man sagt, das Geld muss bei uns bleiben, und versucht, sich beim Klima auf heimische Maßnahmen zu beschränken, statt die ärmeren Länder in eine gemeinsame Lösung einzubeziehen. Viel klüger wäre es, global zu kooperieren.
Die Diskussion um die Energiewende wird immer mehr zum Politikum – ist das die richtige Ebene, um dieses Thema anzusiedeln?
Es stellt sich sofort die Frage, wer genau in der Politik zuständig ist. Früher wurden derartige Themen weltökonomisch betrachtet und das Urteil von Experten herangezogen. Heute sind viele Leute in der Politik aktiv, die eine spezielle Agenda verfolgen, wie den All-electric-Ansatz. Bezeichnend ist dann der Versuch, andere Lösungen auszuschalten, statt technologieoffen zu bleiben. Das sehe ich als sehr ungünstige Verschiebung, weg von gesamtgesellschaftlichen Motiven und ökonomischer Vernunft in eine durch Ideologie geprägte Richtung.
Welche weltweiten Bemühungen braucht es?
Wir müssen uns fragen: Wollen wir eine Lösung in Wohlstand oder in Armut? Für eine Lösung mit einer Welt in Wohlstand und Frieden in der Natur braucht es eine breite globale Kooperation. Die Hälfte des Energiebedarfs sollte aus Erneuerbaren kommen, die andere aus zuverlässig steuerbaren Energieträgern, um Volatilitätsfragen lösen zu können. Wenn man das klug angeht, kann die Energiewende zu einem Weltwirtschaftswunder werden.
Eine Zukunftshoffnung?
Ich bin da viel radikaler: Es gibt keine andere Lösung. Es ist kurzfristig nicht denkbar, aus fossilen Energieträgern herauszukommen – da würden ganze Ökonomien zusammenbrechen.
- Franz Josef Radermacher (74) ist deutscher Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler.
- Bis 2004 leitete er das Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung an der Universität Ulm, seitdem das Nachfolgeinstitut.
- Er ist Mitglied in zahlreichen Arbeitsgemeinschaften und Gremien.
- Bis 2009 war Radermacher Vorsitzender des wirtschaftspolitischen Beirats in Kärnten. Gemeinsam mit dem KWF hat er an der Nachhaltigkeitsstrategie Kärntens gearbeitet.