Franz Josef Radermacher ist überzeugt: „Wir stehen international vor einer großen Herausforderung.“
Franz Josef Radermacher ist überzeugt: „Wir stehen international vor einer großen Herausforderung.“ © Südwest Presse Ulm/Volkmar Könneke
Franz Josef Radermacher

„Klug wäre es,
glo­bal zu koope­rie­ren“

Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef Radermacher appelliert, die Energiewende global zu denken.

05.12.2024 08:38 - Update am: 05.12.2024 08:47 von Ines Tebenszky
Lesezeit 5 Minuten

Franz Josef Rader­ma­cher setzt sich neben dem Aus­bau erneu­er­ba­rer Ener­gien wie Pho­to­vol­ta­ik und Wind­kraft für Car­bon Cap­tu­re ein.

„Kärnt­ner Wirt­schaft“: Der welt­wei­te Ener­gie­be­darf steigt. Wo sehen Sie die größ­ten Her­aus­for­de­run­gen?

Franz Josef Rader­ma­cher: Ener­gie ist zunächst ein­mal die Basis für Wohl­stand, des­halb kommt ihr eine zen­tra­le Bedeu­tung zu. Etwa 80 Pro­zent der welt­weit erzeug­ten Brutto­energie stammt heu­te aus fos­si­len Ener­gie­trä­gern. Sehen wir uns das Bei­spiel Chi­na an: Die Chi­ne­sen haben gezeigt, wie es geht, gigan­ti­schen Wohl­stand auf­zu­bau­en, wenn man sich auf fos­si­le Ener­gie­trä­ger stützt. Nun wol­len aber auch all die Ent­wick­lungs- und Schwel­len­län­der aus der Armut her­aus­kom­men – das Bei­spiel Chi­na droht sich zu mul­ti­pli­zie­ren. Die Fol­ge wäre ein Kli­ma­kol­laps.

Was muss pas­sie­ren, damit es nicht soweit kommt?

Die­se welt­wei­te Lösung, auf die wir set­zen, ruht auf drei Pfei­lern. Ein Bau­stein, der ein Drit­tel der Pro­ble­me lösen kann, ist der Aus­bau neu­er Erneu­er­ba­rer wie Pho­to­vol­ta­ik und Wind­kraft. Das ist sehr teu­er, auch wegen der Net­ze, und die rei­che Welt muss dafür viel Geld auf­brin­gen. Der zwei­te Bau­stein sind „natu­re based solu­ti­ons“, also Maß­nah­men, mit denen die Rol­le der Natur als CO2-Spei­cher gestärkt wird. Das geht am bes­ten im Süden der Welt, wo es viel Flä­che und die Regen­wäl­der gibt. Hier­für braucht es klu­ge Koope­ra­tio­nen.

Und der drit­te Pfei­ler?

Das ist zum einen Nukle­ar­ener­gie, die kli­ma­neu­tral ist und vor einem Auf­schwung steht, weil Tech­no­lo­gie­kon­zer­ne wie Goog­le und Micro­soft sich bereits dafür aus­spre­chen. Noch wich­ti­ger aber ist die Nut­zung fos­si­ler Ener­gie­trä­ger mit Car­bon Cap­tu­re, also Sys­temen, die das CO2 abfan­gen. Auf die­se Wei­se könn­te man die Hälf­te der benö­tig­ten Ener­gie bereit­stel­len. Das ist, auch in Kopp­lung mit den Erneu­er­ba­ren, ins­ge­samt ein Sys­tem, das nicht vola­til und daher rela­tiv preis­wert ist.

Wenn man es klug angeht, kann die Ener­gie­wen­de zu einem Welt­wirt­schafts­wun­der wer­den.Zitat Ende

Franz Josef Rader­ma­cher

Wis­sen­schaft­ler

Wer soll das finan­zie­ren?

Hier müs­sen rei­che Län­der Mit­tel in Form von ver­lo­re­nen Zuschüs­sen frei­ge­ben. Denn die ärme­ren Län­der, die all die Maß­nah­men auch umset­zen müs­sen, weh­ren sich gegen Kre­di­te, die sie auf­grund ihrer Armut ohne­hin nicht bedie­nen kön­nen.

Da gibt es ver­mut­lich vie­le, die die Inves­ti­tio­nen lie­ber im eige­nen Land sehen …

Die Fol­ge genau die­ses Phä­no­mens bezeich­ne ich als Klimana­tio­na­lis­mus. Der besteht näm­lich dar­in, dass man sagt, das Geld muss bei uns blei­ben, und ver­sucht, sich beim Kli­ma auf hei­mi­sche Maß­nah­men zu beschrän­ken, statt die ärme­ren Län­der in eine gemein­sa­me Lösung ein­zu­be­zie­hen. Viel klü­ger wäre es, glo­bal zu koope­rie­ren.

Die Dis­kus­si­on um die Ener­gie­wen­de wird immer mehr zum Poli­ti­kum – ist das die rich­ti­ge Ebe­ne, um die­ses The­ma anzu­sie­deln?

Es stellt sich sofort die Fra­ge, wer genau in der Poli­tik zustän­dig ist. Frü­her wur­den der­ar­ti­ge The­men welt­öko­no­misch betrach­tet und das Urteil von Exper­ten her­an­ge­zo­gen. Heu­te sind vie­le Leu­te in der Poli­tik aktiv, die eine spe­zi­el­le Agen­da ver­fol­gen, wie den All-elec­tric-Ansatz. Bezeich­nend ist dann der Ver­such, ande­re Lösun­gen aus­zu­schal­ten, statt tech­no­lo­gie­of­fen zu blei­ben. Das sehe ich als sehr ungüns­tige Ver­schie­bung, weg von gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Moti­ven und öko­no­mi­scher Ver­nunft in eine durch Ideo­lo­gie gepräg­te Rich­tung.

Wel­che welt­wei­ten Bemü­hun­gen braucht es?

Wir müs­sen uns fra­gen: Wol­len wir eine Lösung in Wohl­stand oder in Armut? Für eine Lösung mit einer Welt in Wohl­stand und Frie­den in der Natur braucht es eine brei­te glo­ba­le Koope­ra­ti­on. Die Hälf­te des Ener­gie­be­darfs soll­te aus Erneu­er­ba­ren kom­men, die ande­re aus zuver­läs­sig steu­er­ba­ren Ener­gie­trä­gern, um Vola­ti­li­täts­fra­gen lösen zu kön­nen. Wenn man das klug angeht, kann die Ener­gie­wen­de zu einem Welt­wirt­schafts­wun­der wer­den.

Eine Zukunfts­hoff­nung?

Ich bin da viel radi­ka­ler: Es gibt kei­ne ande­re Lösung. Es ist kurz­fris­tig nicht denk­bar, aus fos­si­len Ener­gie­trä­gern her­aus­zu­kom­men – da wür­den gan­ze Öko­no­mien zusam­men­bre­chen.

Zur Per­son
  • Franz Josef Rader­ma­cher (74) ist deut­scher Mathe­ma­ti­ker und Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler.
  • Bis 2004 lei­te­te er das For­schungs­in­sti­tut für anwen­dungs­ori­en­tier­te Wis­sens­ver­ar­bei­tung an der Uni­ver­si­tät Ulm, seit­dem das Nach­fol­ge­insti­tut.
  • Er ist Mit­glied in zahl­rei­chen Arbeits­ge­mein­schaf­ten und Gre­mi­en.
  • Bis 2009 war Rader­ma­cher Vor­sit­zen­der des wirt­schafts­po­li­ti­schen Bei­rats in Kärn­ten. Gemein­sam mit dem KWF hat er an der Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie Kärn­tens gear­bei­tet.
Zum Wiki­pe­dia-Arti­kel
Info-Icon
Die­ser Arti­kel ist in Aus­ga­be 23/24 erschie­nen.
Info-Icon
Ähn­li­che Arti­kel fin­den Sie in der Kate­go­rie: Inter­views