
„Gewohnheiten sind in unserem Kopf organisch fixiert“
Axel Koch, Autor, Diplom-Psychologe und Entwickler der Transferstärke-Methode erzählt, wie man ungeliebte Gewohnheiten ablegen kann.
Axel Koch ist einer der führenden Veränderungspsychologen. Der promovierte Diplom-Psychologe spricht mit der „Kärntner Wirtschaft“ über Rückfallpläne und erklärt, was es mit der „Erfolgsmusterfalle“ auf sich hat.
„Kärntner Wirtschaft“: Wie können Unternehmen systematisch analysieren, welche Gewohnheiten hinderlich sind?
Axel Koch: Zunächst erst mal ist wichtig zu sagen, was überhaupt eine Gewohnheit ist. Damit ist ein bestimmtes Denk- und Verhaltensmuster beschrieben, das sich wiederholt beobachten lässt. Zum Beispiel ist solch eine Gewohnheit „die Politik der offenen Tür“. Das heißt, die Tür ist auf und jede und jeder kann jederzeit in das Büro des Kollegen hineinkommen und ihn ansprechen und bei der Arbeit unterbrechen. Und die typische Reaktion ist dann die eigene Arbeit zu unterbrechen und sich dem Kollegen zu widmen. Aus der Forschung ist bekannt, dass solche ständigen Arbeitsunterbrechungen zum einen Stress auslösen, zum anderen eine ineffiziente Arbeitsweise bedeuten. Ob nun eine Gewohnheit hinderlich ist oder nicht, liegt ein Stück weit im Auge des Betrachters.
Ich habe eine Abschlussarbeit einer Bachelorstudentin betreut, die meinen Themenvorschlag aufgenommen hat. Die Studierende Maren Schultheiss hat sich dem Thema „Die Kosten von Bad Habits“ in der Arbeit gewidmet. Dabei kam eben heraus, dass Vorgesetzte bestimmte Denk und Verhaltensweisen der Mitarbeitenden durchaus unterschiedlich bewerten. Mit Blick auf die Frage bedeutet dies, genauer zu definieren, welche Gewohnheiten als hinderlich bzw. Kosten verursachend zu betrachten sind. Auch ein typisches Beispiel: Meetingzeiten werden nicht eingehalten, weil eine entsprechende Moderation beziehungsweise Meeting-Vorbereitung fehlt. Wenn also aus Unternehmenssicht hinderliche Gewohnheiten beschrieben sind, dann können zum Beispiel Mitarbeitende selbst oder auch deren Vorgesetzte systematisch erfassen, wie oft diese Gewohnheiten passieren und was sie beispielsweise an Zeit und Geld kosten. Als Folge ließ sich dann näher definieren, welches bessere Gewohnheiten sind, die zum Beispiel produktiver machen oder eben auch Menschen nicht nerven oder stressen. (Quelle: Schultheiss, M. & Koch, A. (2025). Bad Habits. Personalmagazin)
Haben Sie eine bestimmte Methode oder Technik, um alte Gewohnheiten abzulegen?
Ich habe die Transferstärke-Methode entwickelt, die darauf abzielt, Menschen zu befähigen, Veränderungen erfolgreich und nachhaltig umzusetzen. Die Basis dafür beruht auf 18 Modellen aus der Lerntransfer‑, Therapie- und Veränderungsforschung. Ich habe diese bereits wissenschaftlich fundierten Befunde genutzt, um auf deren Basis ein eigenes Modell der Transferstärke an 2500 Probanden zu entwickeln. Es ist also eine Art „Best of“-Modell dessen, was man in der Forschung schon weiß.
Vor diesem Hintergrund bringe ich Menschen bei, wie sie zum Beispiel den Rückfall in alte Gewohnheiten besser managen können. Denn das ist das größte Problem für viele. Die Grundidee dieser Rückfallmanagement-Technik ist zu wissen, dass es Vorboten, also Anzeichen gibt, die einem zeigen, dass man wieder in das alte unliebsame Verhalten hineinfallen wird. Diese Vorboten sind wie Straßenschilder an der Autobahn, die einem die Ausfahrt anzeigen. Wenn ich diese Vorboten frühzeitig erkenne und einen klaren Plan habe, was ich dann tue, um nicht wieder die alten Verhaltensweisen zurückzufallen, sondern stattdessen das gewünschte neue Verhalten zu realisieren, dann klappt das sehr viel besser.
Wie lange dauert es Ihrer Erfahrung nach, eine Gewohnheit zu ändern oder abzulegen?
Ich mache sehr gute Erfahrungen damit, dass ich den Menschen sage, dass sie mindestens zwei bis drei Monate bewusst Zeit einplanen, um ein neues Verhalten aufzubauen, zum Beispiel in dem sie einen ausgearbeiteten Rückfallplan verfolgen. In der Forschung gibt es verschiedene Aussagen darüber, wie lange eine Veränderung von Gewohnheiten dauert. Da gibt es die besagten zwei bis drei Monate, es findet sich aber auch der Zeitraum von mindestens einem halben Jahr und die Erfahrung zeigt, dass es auch tief verankerte Gewohnheiten gibt, die durch die eigene Lebensgeschichte geprägt sind, wo es noch länger dauert und bisweilen eine lebenslange Aufgabe ist, hier bessere Verhaltensweisen zu zeigen.
Warum fällt es Unternehmen oft schwer, sich von alten Strukturen oder Arbeitsweisen zu lösen?
Das liegt zum einen an der sogenannten „Erfolgsmusterfalle“. Wie eben beschrieben, bilden sich Gewohnheiten aus, wenn sie subjektiv gesehen erfolgreich sind. Deshalb finden wir oft den Absprung nicht, uns von Gewohnheiten zu trennen. Diese Falle können wir auch bei Unternehmen beobachten, die mit einem Produkt mal sehr erfolgreich waren, dann aber nicht merken, dass sich die Zeit geändert hat. Beliebtes Beispiel ist hier die Firma Kodak, die zu lange weiter ihre Karten auf Zelluloidfilm setzte, anstatt auf Digitalfotografie umzustellen. Im Jahr 2012 passierte es dann, dass Kodak, der Pionier der Fotografie, Insolvenz anmelden musste, weil die Firma die Digitalisierung verschlafen hatte. Der andere Grund liegt darin, dass Gewohnheiten in unserem Kopf sozusagen organisch fixiert sind. Gewohnheiten sind aus Sicht des Gehirns sehr gut gebahnte Nervenzellverbindungen — quasi Datenautobahnen. Und die lassen sich genauso wenig wie echte Autobahnen schnell umbauen oder neu bauen. Es braucht also Zeit, Geduld und Arbeit, um sich aus alten Routinen zu lösen. Die Erfolgsmusterfalle und die Funktionsweise unseres Gehirns gilt es also im Blick zu haben, damit Veränderung besser gelingt.
Kann das Ablegen alter Gewohnheiten auch zu weniger Stress führen?
Die meisten Menschen fangen an, Gewohnheiten zu verändern, weil sie darunter leiden. Sie leiden zum Beispiel unter ihrer Figur und finden sich zu dick. Oder es nervt sie, dass sie immer zu allem Ja und Amen sagen, anstatt sich abzugrenzen und für ihre eigenen Bedürfnisse einzustehen. Und so gibt es viele Beispiele dafür, dass wir quasi deshalb in eine Art Stress kommen, weil unsere Gewohnheiten dysfunktional sind. Wenn es uns folglich gelingt, aus den alten Mustern auszusteigen, dann zielt dies darauf ab, eine bessere Arbeits- beziehungsweise Lebenssituation erzielen zu wollen. Oder anders gesagt, dadurch weniger Stress und Leidensdruck zu haben.
Der Haken dabei ist, dass man erst mal eine Phase hat, wo es anstrengend ist und man Geduld mit sich selbst braucht, um ein neues Denken und Verhalten so lange zu wiederholen, bis es einem in Fleisch und Blut übergegangen ist. Denn erst wenn solch eine neue Gewohnheit entstanden ist, dann ist es richtig entlastend. Man denke nur an die ersten Fahrstunden im Auto. Das ist anfangs überhaupt nicht leicht und sehr anspruchsvoll. Manche empfinden das als puren Stress. Wer aber dranbleibt und sich nicht entmutigen lässt, erlebt dann eines Tages, dass er ganz entspannt Auto fahren kann, dabei Radio hören oder mit dem Beifahrer sprechen kann. Entscheidend ist in dieser Übergangsphase, wo es noch anstrengend ist, sich immer wieder vor Augen zu halten, wie schön es ist, wenn man die neuen Gewohnheiten aufgebaut hat und dies dann automatisch abläuft.
Was macht eine nachhaltige Verhaltensänderung aus?
Ein wichtiger Gedanke ist, dass Verhaltensänderung immer dann nicht von Dauer ist, wenn man sich mit starkem Willen dazu zwingt. Deshalb bringt bei mir das Wort „Verzicht“ die Assoziation, dass hier auch Kampf mit verbunden ist. Ich verzichte bewusst auf etwas. Wenn ich mich kontrollieren muss, um etwas nicht zu tun, dann ist es am Ende nicht stimmig und aus psychologischer Sicht ein innerer Konflikt. Es gibt den einen Teil, der etwas möchte und den anderen Teil, der etwas anderes möchte.
Beispiel: Ich erlebe oft Führungskräfte, die ihren Perfektionismus loswerden wollen. Sie würden gerne auf diesen riesenhohen Anspruch an sich selbst und andere verzichten. Im Grunde ist dieser Anteil der Persönlichkeit wie ein ungeliebter Mitarbeiter, den man am liebsten rausschmeißen möchte. Psychologisch passiert dann aber dasselbe, als wenn man einen Ball unter Wasser drückt. Irgendwann lässt die Armkraft nach und der Ball fluppt wieder an die Oberfläche.
Wie kann es helfen, sich die positive Absicht hinter einem Verhaltensmuster bewusst zu machen, anstatt es einfach nur abzulegen oder zu bekämpfen?
Ein besserer Zugang ist in dem Fall, sich die Frage zu stellen, wozu ein bestimmtes Verhaltensmuster gut ist? Was ist die positive Absicht dahinter? Was ist der psychologische Gewinn? Beim Thema Perfektionismus ist der psychologische Gewinn zum Beispiel hohe Leistungsfähigkeit und damit oft hohe Anerkennung. Insofern — wenn ich verzichte, verliere ich die hohe Anerkennung. Zumindest in unserer inneren Psycho-Logik. Wenn ich aber anfange, die positive Absicht zu sehen, diese zu wertschätzen und zu würdigen, dann ist das der Anfang dafür, neue Verhaltensweisen zu entwickeln, die sich innerlich stimmig und rund anfühlen und wo es keine Kontrolle und Willenskraft braucht, um diese umzusetzen. Diese Denkweise ist aber eher entgegen der normalen Intuition und deshalb auch gewöhnungsbedürftig, so mit sich selbst umzugehen.
Axel Koch ist Veränderungspsychologe und Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management. Er ist Entwickler der preisgekrönten Transferstärke-Methode® und Autor mehrerer Wirtschaftsbestseller, darunter Die Weiterbildungslüge (2008) und Change mich am Arsch (2018). Mit über 30 Jahren Erfahrung als Trainer und Coach gilt er als Experte für nachhaltige Veränderung. Koch lebt in Bad Feilnbach, kocht gerne mit seinem Sohn und hält sich mit Sport fit. Sein neues Buch heißt „Morgen fang ich aber wirklich an! Wie wir endlich Veränderung umsetzen“.