„Es gibt keinen einfachen Weg zu sich selbst“
Kung-Fu-Meister Shi Heng Yi über die moderne Welt, Unternehmertum und die großen Lehren.
„Kärntner Wirtschaft“: Was genau bedeutet Kung-Fu?
Shi Heng Yi: Es wird oft mit „harter Arbeit“ übersetzt, genau heißt es aber „durch Mühe eine Fähigkeit entwickeln“ und das über einen längeren Zeitraum.
Sie leiten den ShaolinTemple, sind also Kung-Fu-Meister und Unternehmer. Gibt es Parallelen?
Ja, bei beidem braucht man ein Team, Menschen mit Fähigkeiten, die ich nicht habe, die einen Mehrwert liefern und ein gemeinsames Ziel, auf das man sich strategisch ausrichtet. Im Tempel sind es das Bewahren des buddhistischen Wissens und die Erziehung der Jugend auf körperlicher, geistiger und emotionaler Ebene.
Welche Tugend ist im Kampfsport und in der Geschäftswelt von Vorteil?
Eine der Haupttugenden ist Disziplin. Was man will, ist nicht so wichtig, denn vom Wollen alleine wird nichts passieren. Entscheidend ist, welche Opfer, welches Leid, welchen Schmerz man bereit ist, auf sich zu nehmen. Es gibt keinen einfachen Weg, um sich selbst zu kultivieren, nur Resilienz und geistige Haltung helfen.
Wie kann es in unserer modernen Welt gelingen, den Fokus nicht zu verlieren?
Es hilft, in den Wald zu gehen oder auf einen Berg, um die Ruhe im Außen zu finden. Ziel ist es aber, die innere Ruhe zu finden, ortsungebunden. Dabei sollten wir auf die fünf Tore zur Außenwelt achten, unsere Sinne. Fünf Minuten auf die eigene Atmung zu achten, ist eine einfache praktische Übung, um schon beim Aufwachen ganz bei sich zu bleiben.
Das Zerschlagen von Steinen zeigt, wie viel Potenzial der Mensch hat, wenn er sich an Prinzipien hält.
Shi Heng Yi
Kung-Fu-MeisterSie zerschmettern Steinplatten mit der Hand – Wie und warum macht man das?
Ob es sinnvoll ist, das zu tun, oder nicht – es zeigt das Potenzial des Menschen, wenn er sich an Prinzipien hält. Das Prinzip von Yin und Yang besagt, dass alles in Harmonie geschieht. Also müssen Körper und Geist vollkommen im Einklang sein, damit diese Übung gelingt. Es braucht die Kraft des Körpers und das Gespür für das richtige Timing sowie eine Weichheit und Offenheit des Geistes. Man wird eins mit seiner Aufgabe, wie Musiker oder Maler.
Wie kann ich meinen Körper mit Energie versorgen?
Neben dem bewussten Atmen ist es die Ernährung. Wir ernähren uns im Kloster zu 90 Prozent vegetarisch. Das Wichtigste ist aber, auf seinen Körper zu hören und ein gutes Gefühl für sich selbst zu entwickeln. Ebenso wie Bewegung und Sonnenlicht. Und gerade wenn man sich energielos fühlt, sollte man sich bewegen – nur so lernt der Körper, dass er mehr Energie bereitstellen muss.
Energie soll fließen. Viele Menschen verharren aber lieber in einer Situation, als etwas zu verändern. Warum?
Weil wir glauben, es muss alles höher, schneller, besser werden – das blockiert, der Kopf ist zu. Die Lösung: Altes muss gehen, damit Neues kommen kann. Diese Praxis des Loslassens sollte man auf alle Lebensbereiche anwenden.
Bei „Kloster auf Zeit“ dürfen Besucher hautnah den Alltag der Mönche miterleben. Was lernen sie daraus?
Achtsamkeit und das Prinzip der Tiefe. Egal wobei, versuche dich auf eine Sache zu konzentrieren und gehe in die Tiefe. Das gibt die Einsicht, um richtige Entscheidungen zu treffen.
In Betrieben und im Kloster gibt es Hierarchien. Wie wichtig ist Führung?
Beim Wert des Menschen machen wir keinen Unterschied, egal ob Putzfrau oder Geschäftsführer. Es geht darum, wer bringt den größten Schatz an Lebenserfahrung mit und ist dadurch ganz oben in der Hierarchie.
Aktuell wird viel über die Work-Life-Balance diskutiert. Gibt es eine buddhistische Weisheit dazu?
Ja: Durch unsere Gedanken erschaffen wir die Welt. Wenn man das beachtet, dann gibt es andere Perspektiven, die besser passen, als das Leben in Arbeit und Freizeit einzuteilen. Wir haben nur ein Leben in diesem Körper, und sollten die Balance zwischen allem schaffen, was uns wichtig ist.
- Shi Heng Yi ist Kung-Fu-Meister und leitet den Shaolin Temple Europe in Otterberg/Kaiserslautern.
- Der Sohn vietnamesischer Eltern wuchs in Kaiserslautern auf und begann dort mit vier Jahren sein Kung-Fu-Training.
- Nach dem Studium der Sozial- und Kommunikationswissenschaften und einem MBA entschied er, sich fortan seiner Leidenschaft, dem Kung-Fu, zu widmen.