EU-Kommissar Johannes Hahn hielt eine Keynote beim Europa-Forum im see:PORT Pörtschach.
EU-Kommissar Johannes Hahn hielt eine Keynote beim Europa-Forum im see:PORT Pörtschach. © NZ Photo/Zangerle
Johannes Hahn

„Die Euro­päi­sche Uni­on erfor­dert Lei­den­schaft“

Johannes Hahn spricht im Interview darüber, warum die Zukunft Europas nur mit offenen Grenzen gelingen kann.

26.07.2024 08:30 - Update am: 26.07.2024 08:30 von Claudia Blasi
Lesezeit 4 Minuten

„Kärnt­ner Wirt­schaft“: Eu­ropa muss unab­hän­gi­ger und stär­ker wer­den, sonst kann es ster­ben – pro­gnos­ti­zier­te kürz­lich der fran­zö­si­sche Staats­prä­si­dent Emma­nu­el Macron. Wie steht es wirk­lich um Euro­pa?

Johan­nes Hahn: Macron neigt zur ver­ba­len Pro­vo­ka­ti­on und löst damit Dis­kus­sio­nen aus. Sei­ne Ansicht tei­le ich nicht und wie wir wis­sen, Tot­ge­sag­te leben län­ger. Die EU hat immer bewie­sen, dass sie beson­ders in Kri­sen und bei Her­aus­for­de­run­gen gut funk­tio­niert. Was es aber drin­gend bräuch­te, sind schnel­le­re Ent­schei­dun­gen, wenn es dar­auf ankommt. Vor allem in außen­po­li­ti­schen Fra­gen wür­de nicht immer Ein­stim­mig­keit aller 27 Mit­glieds­staa­ten erfor­der­lich sein.

Euro­pa fällt wei­ter hin­ter die USA und Chi­na zurück. Wie kann man den Wirt­schafts­stand­ort sichern?

Die Glo­ba­li­sie­rung schrei­tet vor­an, daher müs­sen wir in der EU noch mehr zusam­men­ar­bei­ten. Unse­re Stär­ke ist der Bin­nen­markt, dar­auf müs­sen wir auf­bau­en. Jede Stim­me hat Gewicht und muss ihren Weg von Kärn­ten nach Öster­reich bis in die EU mit ihren 450 Mil­lio­nen Ein­woh­nern fin­den. Das heißt aber auch, Gren­zen in den Köp­fen abzu­schaf­fen und Span­nun­gen, Gegen­sät­ze und Kon­fron­ta­tio­nen durch das Zusam­men­ste­hen in einer gro­ßen Fami­lie zu über­win­den – ohne Gewalt.

Was ent­geg­nen Sie EU-Skep­ti­kern und Kri­ti­kern?

Was wäre die Alter­na­ti­ve zur EU? Zäu­ne hoch­zie­hen und Gren­zen schüt­zen, ist ein Irr­weg. Das haben wir bei Groß­bri­tan­ni­en gese­hen. Noch dazu in einem Land wie Öster­reich, in dem jeder zwei­te Arbeits­platz vom Export abhän­gig ist. Die Welt ist in Unord­nung gera­ten und ein Land allei­ne kann sich die­sem Cha­os nicht stel­len. Nur gemein­sam kann uns das gelin­gen. Alles ande­re wäre kon­tra­pro­duk­tiv und eine Atta­cke auf die Sicher­heit und den Wohl­stand.

Eine offen­si­ve Betei­li­gung Öster­reichs in der EU ist jetzt gefragt.Zitat Ende

Johan­nes Hahn

EU-Kom­mis­sar

Inwie­weit scha­det das innen­po­li­ti­sche Wirr-Warr dem Anse­hen Öster­reichs auf EU-Ebe­ne?

Jedes Land hat sei­ne innen­po­li­ti­schen The­men, doch in Öster­reich sind die­se gehäuft. Öster­reich ist an der Spit­ze bei Ent­hal­tun­gen im Euro­päi­schen Rat, was einer Ableh­nung gleich­kommt. Das heißt, in der Regie­rung wur­de kein gemein­sa­mer Nen­ner gefun­den. Um auf EU-Ebe­ne lob­by­ie­ren zu kön­nen, ist aber eine offen­si­ve Betei­li­gung gefragt. Din­ge aus­dis­ku­tie­ren, eine gemein­sa­me Posi­ti­on ent­wi­ckeln und einen Kom­pro­miss ein­ge­hen, das ist in einer Regie­rung gefragt und kei­ne Mau­sche­lei. Minis­ter ist man für ganz Öster­reich, für alle, und nicht nur sein Kli­en­tel.

In wel­che Berei­che wer­den EU-För­der­mit­tel in den nächs­ten Jah­ren flie­ßen?

För­de­run­gen sind Anschub­fi­nan­zie­run­gen für Pro­jek­te, die im bes­ten Fall allen einen Vor­teil brin­gen. Der Schwer­punkt bleibt auf der Digi­ta­li­sie­rung und dem grü­nen Über­gang. Des­halb för­dert die EU aktu­ell mit 4,2 Mil­lio­nen Euro drei Mobi­li­täts­pro­jek­te in Kärn­ten. Zum Büro­kra­tie­ab­bau wäre es wün­schens­wert, Geset­ze mit einer Ablauf­frist zu ver­se­hen.

Stich­wort Rechts­ruck: Wel­che Her­aus­for­de­run­gen war­ten auf die EU?

Kein Extrem, weder links noch rechts, hat uns je vor­an­ge­bracht. Hier müs­sen wir wach­sam sein: Weh­ret den Anfän­gen. Eben­so wenn Län­der wie Chi­na ihr dik­ta­to­ri­sches Lebens- und Gesell­schafts­mo­dell in Euro­pa unter dem Deck­man­tel „Busi­ness“ salon­fä­hig machen wol­len. Indi­en, Asi­en, Afri­ka und Latein­ame­ri­ka kön­nen neue Ver­bün­de­te wer­den. Euro­pa soll­te sich zum Vor­rei­ter ent­wi­ckeln und nicht nur ein Lie­fe­rant sein, beschränkt auf Tou­ris­mus und Kul­tur. Wir haben eine star­ke Indus­trie und eine star­ke Struk­tur bei den Klein- und Mit­tel­stands­be­trie­ben.

Wird es in fünf Jah­ren noch den Euro­pean Way of Life geben – ein funk­tio­nie­ren­der Rechts­staat, ein Leben in Frie­den, Frei­heit, Wohl­stand?

Ja, das wird sich aus­ge­hen. Wenn die Ver­nunft die Ober­hand behält, die Demo­kra­tie gepflegt wird und wir mit gedul­di­ger Lei­den­schaft wei­ter an unse­ren Zie­len arbei­ten!

Johan­nes Hahn

Johan­nes Hahn (66) ist EU-Kom­mis­sar für Haus­halt und Ver­wal­tung in der Kom­mis­si­on von der Ley­en. Zuvor war er Kom­mis­sar für Nach­bar­schafts­po­li­tik und Erwei­te­rung sowie Regio­nal­po­li­tik. Er ist mit Susan­ne Riess-Hahn ver­hei­ra­tet und hat einen Sohn. Der frü­he­re Wie­ner ÖVP-Chef und Bundes­minis­ter für Wis­sen­schaft und For­schung hört nach drei Amts­zei­ten im Okto­ber als EU-Kom­mis­sar auf.

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