„Das klassische Alphatier hat ausgedient“
Die Gesellschaft ist im Umbruch, neue Lebensstile entstehen. Doch welche Auswirkungen hat das für die Wirtschaft? Wirtschaftsphilosoph Philipp Pexider hat Antworten.
„Kärntner Wirtschaft“: Warum sind Lebensstile für Unternehmen relevant?
Philipp Pexider: Aus zumindest zwei Gründen: Erstens müssen Unternehmen verstehen, was ihre Kunden bewegt. Zweitens müssen Unternehmen besser darin werden, die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter zu verstehen. Das Konzept der Lebensstile kann dabei Orientierung bieten.
Welcher Lebensstil dominiert aktuell in der Gesellschaft?
Geprägt wurden die vergangenen Jahre wohl vor allem von den sogenannten Vorwärtsmachern – Menschen, die einen Drang zum Gestalten haben und sich dabei nicht von anderen verunsichern lassen. Vorwärtsmacher gehen stur ihren Weg. Bekannte Beispiele hierfür sind etwa Elon Musk, der Elektroautos im Westen salonfähig gemacht hat, oder Greta Thunberg, die die „Fridays for Future“-Bewegung ins Leben gerufen hat.
Haben Zielgruppen und Milieus ausgedient?
Zielgruppen und Milieus spielen nach wie vor eine wichtige Rolle. Es erscheint aber immer schwieriger, Menschen auf Basis von soziodemografischen Merkmalen wie Geschlecht oder Einkommen zu kategorisieren. Lebensstile versuchen deshalb, den Zeitgeist in der Bevölkerung zu charakterisieren und so ein besseres Verständnis für die Haltungen der Menschen zu bekommen.
Menschen zu verstehen, heißt nicht, sie in Schubladen zu stecken.
Philipp Pexider
WirtschaftsphilosophWie sollten Unternehmen auf diese Veränderungen reagieren?
Ganz zentral ist es, als Unternehmen lernfähig zu bleiben. Was läuft gut, was können wir verbessern? Was ändert sich am Markt und wie denken unsere Kunden? Das sind nicht nur strategische Fragen, sie sollten fixer Bestandteil des unternehmerischen Alltags werden. Und die wichtigsten Bereiche eines Unternehmens sollten sich in entsprechenden Kennzahlen widerspiegeln. Es reicht nicht, als Betrieb zu wissen was man tut, man muss wissen, wie sich Handlungen auswirken.
Wie bringt man unterschiedliche Lebensstile innerhalb eines Betriebes unter einen Hut?
Jedenfalls nicht von oben herab. Das Bewusstsein über Diversität im Unternehmen ist ein guter erster Schritt. Aber, umso mehr unterschiedliche Interessen im Unternehmen vorhanden sind, desto stärker sollten Handlungen partizipativ erfolgen. Das bedeutet, dass die Menschen im Unternehmen eine Möglichkeit bekommen sollten, mitzugestalten und dass diese Prozesse auch offen und ehrlich ablaufen sollten.
Was bedeutet das für die Beziehung zwischen Mitarbeitern und Unternehmen?
Unternehmen stehen immer noch am Anfang, wenn es darum geht, Menschen zu verstehen. Menschen wirklich zu verstehen, heißt ja gerade nicht, sie in Schubladen zu stecken. Sich darauf einzulassen, was Menschen in Unternehmen bewegt, was ihre Stärken und Schwächen sind, funktioniert nicht so nebenbei. Das ist eine eigene Kompetenz, die an Bedeutung gewinnen wird. Nur so können Beziehungen in Unternehmen wirklich gelingen und Potenziale entfaltet werden. Das ist nicht einfach wieder eine neue Aufgabe für Unternehmen, sondern eine riesige Chance.
Wie wirkt sich das auf die Art der Führung aus?
Tendenziell lässt sich sagen, dass das klassische Alphatier ausgedient hat. Dieses Konzept basiert ja auf der Idee, dass eine einzelne Person in jeder Situation die besten Entscheidungen treffen kann. Dem gegenüber steht ein Führungstyp, den ich als philosophisch-orientiert kennzeichnen würde. Das bedeutet, dass man als Führungskraft die eigenen Ansichten bewusst hinterfragt. Es geht nicht darum, alles immer besser zu wissen, sondern darum, möglichst viele Perspektiven einzubeziehen, um auch in komplexen Situationen bestmögliche Entscheidungen zu treffen.
Philipp Pexider aus Gleisdorf (Steiermark) hat Soziologie und Philosophie studiert. Er ist Experte für Lebensstile und beschäftigt sich am Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main und Wien mit der Veränderung der Gesellschaft und hilft Unternehmen dabei, Kunden und Mitarbeiter besser zu verstehen. Er ist unter anderem Autor der Trendstudie Lebensstile und des Workbook HR, die beim Zukunftsinstitut erschienen sind.